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Frank P. - Meine Laufberichte






08.05.1988 - 25 km de Berlin


Mehr als 20 Jahre ist es nun her, dass ich meinen ersten Laufwettkampf bestritt. Da die Umstände, wie es zu der Teilnahme kam sowie der Lauf selbst sehr spektakulär waren, halte ich es für angemessen, auch nach so langer Zeit, einen Bericht darüber zu schreiben. Die Erinnerungen sind noch so frisch, als hätte der Lauf im letzten Jahr erst statt gefunden:


Es war Anfang Mai im Jahre 1988 in Berlin. Ich war 22 Jahre alt und Student. Sportlich aktiv war ich damals durchaus schon. Meine Lieblingssportart war Radsport. Ich belegte in dem Sommersemester auch einen entsprechenden Hochschulsportkurs. Wir trafen uns einmal die Woche regelmäßig und fuhren in der Gruppe auf Rennrädern bestimmte Strecken durch West-Berlin ab, wie u.a. die „Krone“ (Kronprinzessinnenweg) parallel der Avus. Zufällig kamen wir in dieser Gruppe auch auf den bevorstehenden Laufwettkampf „25 km de Berlin“ zu sprechen. Es stellte sich heraus, dass einer aus unserer Radsportgruppe gleichzeitig auch Läufer war und bei den 25 km zum wiederholten Male an den Start gehen würde. Er schwärmte uns vor, wie toll doch dieser Lauf sei, perfekt organisiert von der französischen Schutzmacht und überhaupt ein unbeschreibliches Erlebnis, dort mit zu laufen.
Wir beneideten ihn sehr ob des bevorstehenden Erlebnisses. Ich selbst hatte bis dahin nur einzig den Berlin-Marathon 1987 als Zuschauer erlebt und hatte mir darauf hin schon vorgestellt, wie toll es doch sein würde, als aktiver Läufer dort dabei zu sein. Natürlich hatte ich diesen Gedanken als unrealistisch sofort verworfen. 42 km an einem Stück zu laufen war für mich unvorstellbar. Schließlich war ich ja kein Läufer. Auch 25 km an einem Stück zu laufen waren für mich unvorstellbar. Aber vielleicht könnte ich ja wieder irgendwo an der Strecke stehen wie beim Berlin-Marathon ein gutes halbes Jahr zuvor und meinen Radsportkumpel und die anderen Läufer anfeuern? Drei Tage vor dem Event fand ich in der Tageszeitung einen Streckenplan. Zu meiner überraschung ging die Strecke direkt bei mir am Haus vorbei und zwar bei Kilometer 15. „Klasse!“ sagte ich zu mir. „Da brauche ich ja nur vor das Haus zu gehen zum Anfeuern! Bequemer geht es nicht!“ Doch dann kam mir ein verwegener Gedanke: Wie wäre es, wenn ich einfach mitlaufen würde und dann bei Kilometer 15 aussteigen würde? Dann wäre ich direkt zu Hause. 15 Kilometer könnte ich vielleicht gerade so schaffen und ich hätte dann das Erlebnis gehabt, bei solch einem Event selbst als Aktiver dabei gewesen zu sein? Lange überlegen konnte ich nicht, denn es war der letzte mögliche Meldetag, wie in der Zeitung stand. Und so entschloss ich mich kurzerhand, mich anzumelden. Ich bin dann von der Uni, wo ich mich gerade befand, zur nächsten Filiale der Berliner Sparkasse gefahren, die damals der Hauptsponsor war, und meldete mich mit einer Bareinzahlung gegen Beleg an. Das war damals wohl ein normales Anmeldeprocedere. Meine Startnummer würde ich dann am Samstag vor dem Lauf am Olympiastadion erhalten, sagte man mir.

Am Samstag vor dem Lauf war dann vor und im Olympiastadion richtig viel los. Die Franzosen veranstalteten ein regelrechtes Volksfest. Für mich war das alles neu und spannend. Aber wo würde ich meine Startnummer bekommen? Die Ausgabestellen waren nach Startnummern (Dossards) geordnet, aber auf meinem Einzahlungsbeleg stand keine Startnummer. Ist da vielleicht doch irgendwas schief gelaufen aufgrund meiner späten Meldung? Ich ging daher zu dem Ort, den man heute „Help-Desk“ nennen würde, der aber eine andere französische Bezeichnung hatte (an die ich mich leider nicht mehr genau erinnere) und auch kein Tisch war sondern ein Büro etwas abseits vom Trouble im Olympiastadion. Das Büro war ausschließlich mit französischen Offizieren besetzt. Etwas schüchtern wartete ich an der offenen Tür, bis sich ein Lieutenant sich mir zuwendete: „Monsieur! Was aben Sie problème?“ fragte er freundlich in gebrochenem deutsch. Mein Problem wurde dann sehr schnell gelöst. Mir war tatsächlich noch keine Startnummer zugewiesen worden, aber der Zahlungseingang lag im Computersystem den Franzosen vor, so dass der Lieutenant mir an Ort und Stelle meine Startnummer ausdruckte (Nr. 7464). Meine erste Startnummer!
Die Informationen auf den beiliegenden Blättern las ich ganz akribisch durch.

Am Sonntag, den 8. Mai war es dann so weit. Um 9:30 Uhr wurde bei strahlendem Frühlingswetter der Startschuss am Olympischen Platz von Eberhard Diepgen, dem Regierenden Bürgermeister, abgefeuert und ich stand mitten drin in der Läufermenge.

Bekleidet war ich mit einem blauen Baumwoll-Singlet und einer kurzen Hose in derselben Farbe. Ich weiß nicht mehr, ob diese Kleidungsstücke möglicherweise noch aus der Schulzeit aus dem Turnunterricht waren? ;-) Spezielle Laufschuhe besaß ich nicht, aber ein Paar Schuhe mit recht gutem Profil eines namhaften Herstellers.

Ich hatte mir vorgenommen, möglichst langsam und gleichmäßig los zu laufen. Aber was heißt langsam? Ich orientierte mich einfach an die anderen Läufer des hinteren Mittelfeldes und rannte einfach deren Tempo mit. Das musste man am Anfang sowieso, da es auf den ersten Kilometern ziemlich eng auf den Straßen war. Mein Tempo mag so zwischen 5 und 5:30 Min./km gelegen haben, aber das waren für mich damals keine Begriffe. Ich hatte auch keine Stoppuhr, sondern eine ganz normale Armbanduhr.

Im Gegensatz zu heute ist man damals bereits auf dem Hinweg die Kantstraße runter gelaufen und auf dem Rückweg den Kaiserdamm rauf. Es ging also am Anfang ständig (leicht) bergab. Ich fühlte mich gut und hatte keinerlei Probleme. Die Euphorie, bei solch einem Event nun selbst dabei zu sein, hat sicherlich dabei eine große Rolle gespielt.
Selbst als es dann über Ku´damm und Siegessäule nach Moabit rein ging und bereits 10 km gelaufen waren, ging es mir noch gut. Allerdings machte mir so langsam die Hitze zu schaffen. Es war wolkenlos und die Sonne schien nun weitgehend ungehindert auf uns Läufer hernieder. Alle fünf Kilometer gab es Verpflegungsstellen mit Wasserwannen und immer neuen Schwämmen. Ich griff immer nach einem nassen Schwamm und befeuchtete meine Arme, mein Gesicht und drückte den Rest des Wassers im Schwamm über meinen Kopf aus, so dass dann immer noch Wasser sich über den ganzen Körper ergoss und runter lief und auch mein Baumwollsinglet klatschnass war, was aber so gewollt war. Es verschaffte mir Erleichterung.

An Verpflegung gab es Isostar, das in kleinen drückbaren Plastikfläschchen gereicht wurde. Den Verschluss konnte man abbeißen. Durch eine dann etwa fünf Millimeter große öffnung konnte man die Flüssigkeit raus saugen oder raus drücken. So konnte man perfekt Dosieren und im Laufen in Ruhe trinken und das Fläschchen noch eine ganze Weile in der Hand mittragen, ohne das etwas verschüttet wurde. Leider sind diese Fläschchen in späteren Jahren zugunsten von Bechern völlig verschwunden, wohl entweder aus Kosten- oder aus ökologischen Gründen?
Zu Essen gab es damals auch etwas, zumindest Bananen. Ob noch etwas darüber hinaus weiß ich nicht mehr?

Vom Zuschauerzuspruch war ich angetan. Ich hatte es ja noch nie erlebt, dass mir wildfremde Leute dafür, dass ich einfach nur laufe, applaudieren. Auch wenn es nicht die Zuschauermassen waren wie später beim Berlin-Marathon, waren an den Straßenrändern immer wieder Menschen, die klatschten und Lärm machten und für Stimmung sorgten. Die 25 km de Berlin hatten damals einen hohen Stellenwert. Bis weit in die 80er Jahre war dieser Lauf von den Teilnehmerzahlen der größte Lauf Deutschlands, größer als jeder Stadtmarathon, größer also noch als der Berlin- oder Hamburg-Marathon.

Toll fand ich es, durch Moabit durch zu laufen, durch den Ortsteil, in dem ich wohnte, über Straßen, die mir wohl bekannt waren, die ich aber noch nie komplett für die Läufer gesperrt erlebt habe. Nach einem kurzen Abstecher in den Wedding zwischen Kilometer 13 und 14,5, wo man vor der Kneipe von Bier trinkenden Gästen angefeuert wurde, ging es über die sich sehr lang ziehende Putlitzbrücke zurück nach Moabit.
Am Ende der Putlitzbrücke befand sich Kilometer 15 und dort befand sich auch das Haus, in dem ich wohnte. Ich hatte also mein Ziel erreicht, die 15 Kilometer durchzuhalten. Es war viel einfacher, als ich es erwartet hatte. Nun konnte ich also Feierabend machen! Aber eigentlich fühlte ich mich noch ganz gut. Jedenfalls nicht so kaputt, als dass ich nicht noch den einen oder anderen Kilometer würde schaffen können. Außerdem hatte es mir bis dahin so großen Spaß gemacht. Ob ich mir diesen Spaß nicht noch ein klein wenig länger gönnen sollte?
Ich musste schnell eine Entscheidung fällen und entschied, erst einmal weiter zu laufen. Wenn es nach ein paar weiteren Kilometern nicht mehr gehen würde, müsste ich dann eben mit der U-Bahn nach Hause fahren.

An Kilometer 15 vorbei zu laufen genoss ich sehr. Dort stand auch mein Bruder und machte die hier eingestellten Fotos. „Das schaffst Du nie!“ war übrigens die Reaktion meines Bruders, als ich ihm drei Tage zuvor erzählt hatte, dass ich mich für diesen Lauf als Nichttrainierter noch schnell angemeldet hatte. Den ganzen Lauf wollte ich ja auch gar nicht unbedingt schaffen, sondern nur die 15 Kilometer. Und das hatte ich schon mal mit Bravour geschafft.


25 km de Berlin 1988

25 km de Berlin 1988

25 km de Berlin 1988

25 km de Berlin 1988

25 km de Berlin 1988

25 km de Berlin 1988



So lange ich noch in Moabit lief, über die Stromstraße und Alt-Moabit, ging es mir noch gut, aber als es dann über die Gotzkowskybrücke bei Kilometer 17 wieder nach Charlottenburg hinein ging, wurden die Beine langsam müde. Sie schmerzten bei jedem Auftreten. Erst langsam, aber von Kilometer zu Kilometer schlimmer. Als es bei Kilometer 19 auf die Bismarckstraße ging, war der Zeitpunkt gekommen, wo ich vernünftigerweise hätte aufhören sollen.
Auf der Bismarckstraße sah man über den Kaiserdamm bis zum Theodor-Heuss-Platz auf der leicht ansteigenden Strecke Tausende von Läufern. Die sich langsam bewegenden Menschenmassen flimmerten unter dem starken Sonnenlicht. Einerseits war ich erschrocken von dem Anblick, es wurde mir schließlich klar vor Augen geführt, wie weit es noch zu laufen war und wie heiß es mittlerweile geworden war. Gleichzeitig war ich fasziniert. Irgendwie brachte ich es nicht fertig, auszusteigen. Ein bisschen wollte ich noch mitlaufen. Vielleicht einen Kilometer?

Ich fühlte mich wie in einem Backofen. Von oben die Sonne und von unten der mittlerweile heiße Asphalt. Aber irgendwie ging es doch weiter. Dann war ich bei Kilometer 20 angelangt und der Theodor-Heuss-Platz war doch sichtbar näher gerückt.
„Nach 20 geschafften Kilometern aufzuhören ist ja doch blöd“, sagte ich zu mir selbst. „Die letzten fünf Kilometer müssen doch irgendwie auch noch zu schaffen sein, auch wenn es noch so schmerzt!“ So beschloss ich also, durchzuhalten, und damit begann meine Leidenszzeit.

Als ich den Kaiserdamm hinter mich gelassen hatte, waren immer noch vier Kilometer zu laufen, auch wenn es nun ein paar Bäume gab, die Schatten spendeten. Meine Beine wollten nicht mehr, aber ich selbst wollte noch, unbedingt: „Vier Kilometer vor dem Ziel wird nicht mehr aufgegeben!“
Wie erleichtert war ich, als es auf die Olympische Straße ging und ich das Olympiastadion sehen konnte. Zu meinem Schrecken ging es aber am Olympischen Platz nicht weiter zum Olympiastadion, sondern plötzlich links ab in die Trakehner Allee, die auch noch eine Kopfsteinpflasterstraße war, wo jeder Schritt erst recht schmerzte.
Ich musste also wohl noch bis zum Coubertinplatz durchhalten. Dort irgendwo musste wohl der Eingang zum Marathontunnel sein, der schließlich ins Stadion führt?
Aber statt am Coubertinplatz rechts zum Olympiastadion abzubiegen, ging es noch weiter weg vom Stadion die Jesse-Owens-Allee entlang. Ich konnte es nicht fassen und war mit meinen Kräften am Ende. Irgendwo musste es doch endlich ins Olympiastdion gehen!
Plötzlich ging es scharf nach rechts auf das weiträumige Gelände des Olympiastadions. Ein umgekippter Läufer wurde von Sanitätern behandelt. Und endlich ging es in einen Tunnel. Das konnte nur der lang erwartete Marathontunnel sein. Gleich müsste es ins Stadion gehen. Nach einer Rechtskurve war es dann ziemlich plötzlich so weit: Der Einlauf ins Olympiastadion! Ein unbeschreibliches Gefühl! Schon oft bin ich in diesem Stadion auf den Zuschauerrängen gewesen, aber noch nie im Innenraum! Und nun lief ich auf der Laufbahn dem Ziel entgegen! Auf der Anzeigetafel wurden die einlaufenden Läufer gezeigt und ich konnte mich selbst sehen! Die Zuschauer auf den Rängen waren zahlreich und spendeten für uns Läufer aus dem hinteren Drittel noch heftig Applaus. überglücklich lief ich durchs Ziel!


25 km de Berlin 1988
Foto von harriersand



Ein gemeiner Soldat hängte mir die Medaille um. Ich bedankte mich mit: „Merci!“ und ging dann erst mal auf den Rasen, um mich hin zu setzten. Aber ich legte mich sogar richtig lang hin, streckte die Beine aus und schloss die Augen. So konnte ich das Geschehene besser verarbeiten und meinen Beinen etwas Entspannung bescheren.
Nach nicht all zu langer Zeit kam dann allerdings ein Helfer und meinte, ich dürfe hier nicht liegen bleiben. Wenn es mir nicht gut ginge würde er einen Sanitäter holen, aber ansonsten solle ich doch wie alle anderen Läufer so langsam den Innenraum verlassen. Das tat ich dann schließlich. Die Treppen konnte ich nur ganz langsam hinauf gehen, so sehr schmerzten mir die Beine. Vor dem Stadion lag ich dann noch eine ganze Weile auf der Wiese, vollkommen geschafft aber glücklich. Ich bin 25 km aus dem Stand gelaufen! Ich habe ein wunderbares Rennen erlebt und erlitten! Wenn ich 25 km ohne Training schaffe, dann werde ich auch einen Marathon mit Training schaffen! So war dann am Abend meines ersten Wettkampfes schon der Entschluss gefasst, im Folgejahr mit entsprechend gutem Training den Berlin-Marathon zu laufen. Aber das ist eine andere Geschichte...

Eine gute Woche hat es nach dem Lauf noch gedauert, bis ich wieder normal Treppen gehen konnte. Aber das hat mir nicht so viel ausgemacht.
Die Urkunde, die mir später zugeschickt wurde, war eine der schönsten oder vielleicht die schönste, die ich je für einen Wettkampf bekommen habe. Auch die Laufstrecke ist dort angegeben:


Urkunde 25 km de Berlin 1988



Mit meinen 2:20:41 Stunden bin ich insgesamt 6.691. von 8.903 Finishern geworden.
Kuriosität am Rande: Erst 20 Jahre später hat mich ein anderer Läufer, den ich aber erst seit wenigen Jahren kenne, darauf aufmerksam gemacht, dass auch der Boxer Graziano Rocchigiani und er selbst in der selben Minute damals mit mir ins Ziel kam, nur um Sekunden getrennt.















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